Ansgar, Missionar des Nordens, 801-865

 

Ansgar (801-865), Missionar des Nordens, Erzbischof von Hamburg und Bremen. Erzogen im Benediktinerkloster Corbie bei Amiens, kam A. 822 nach Corvey bei Höxter an der Weser, einer Tochtergründung von Corbie, wo er Leiter der Klosterschule wurde. Als der Dänenkönig zu Ludwig dem Frommen geflüchtet war und sich 826 in Mainz hatte taufen lassen, begleitete ihn A. auf dem Rückweg, um die von Erzbischof Ebo von Reims begonnene Mission dort fortzusetzen. Seine Tätigkeit in Südjütland gab er jedoch bald auf, als König Harald 827 von dort vertrieben wurde. 829 wurde er auf dem Weg nach Schweden von Wikingern überfallen und ausgeplündert. Nach entbehrungsreicher Wanderung erreichte er schlieÃÄlich die auf einer Insel im Mälarsee gelegene Stadt Birka. 831 kehrte er heim, um dem Kaiser Bericht zu erstatten. Noch im gleichen Jahr wurde er zum ersten Bischof des neugegründeten Bistums Hamburg geweiht. AnschlieÃÄend reiste A. nach Rom; dort ernannte ihn Gregor VI. zum päpstlichen Legaten für die Mission im Norden. Mit Ebo von Reims verständigte sich A., daÃÄ er Dänemark missionieren sollte, während Ebo für Schweden zuständig blieb. Dann baute er die kirchliche Struktur im Bistum Hamburg aus, hatte aber in Dänemark wenig Erfolg. 845 überfielen die Dänen Hamburg und zerstörten die Stadt völlig. 849 zog A. als Erzbischof in Bremen ein; Papst Nikolaus bestätigte die Vereinigung der Diözesen Hamburg und Bremen. Danach nahm A. die Dänenmission wieder auf; in Schleswig und Ripa baute er eine Kirche. Auch setzte er die Mission in Schweden fort und zog für einige Jahre selbst nach Birka, um danach Rimbert als Leiter der dortigen Mission zurückzulassen. In seinen letzten Jahren widmete sich A. der Aufbauarbeit im eigenen Bistum. Sein Nachfolger wurde sein Schüler Rimbert, von dem auch der nebenstehende Bericht aus der Vita Ansgari stammt.

Der Corveyer Mönch Ansgar reiste erstmals 829 im Auftrag Kaiser Ludwigs des Frommen nach Schweden. Dort begründete er im Fernhandelszentrum Birka am Mälarsee eine kleine Missionsstation, für die der König das Nebeneinander verschiedener Kulte einräumte. Damit die Skandinavienmission Rückhalt gewänne, errichtete Kaiser Ludwig nach der ersten Reise Ansgars in Hamburg ein eigenes Bistum für Nordalbingien, das Land nördlich der Elbe, das bis dahin zu den Diözesen Bremen und Verden gehört hatte und verband damit den Auftrag, die nördlichen Länder zu missionieren. Als aber die Wikinger 845 Hamburg zerstörten, verlor die Schwedenmission ihren Rückhalt. Man jagte den Missionsbischof Gauzbert "mit Schimpf und Schande" aus dem Lande, und nur die Gemeinde in Birka hielt stand.

Auf seiner zweiten Reise nach Birka fand Ansgar 852/53 eine veränderte Situation vor. Die Existenz der christlichen Gemeinde hatte die Wächter der Tradition geweckt. Der König konnte das Recht der Volksversammlung, über die elementaren Lebensordnungen selbst zu entscheiden, nicht ignorieren. Auf einer Thingversammlung verband sich die freie Religionswahl mit dem Argument: "Wollen unsere Götter uns nicht gewogen sein, dann ist es gut, die Gnade dieses Gottes zu besitzen, denn er kann und will immer und überall denen helfen, die zu ihm rufen." Möglicherweise war der Sprecher ein Parteigänger Ansgars, doch das Nützlichkeitsargument dürfte hier wie anderswo unter germanischen Stämmen der tatsächlichen Einstellung entsprochen haben.

Nach etwa zwanzigtägiger Seefahrt erreichte Ansgar auf seiner Reise Birka. Hier fand er König und Volksmenge in tiefem Irrglauben befangen. Gerade damals trat dort ein Mann auf und verkündete, vom Teufel getrieben - denn der wuÃÄte die Ankunft des heiligen Mannes genau voraus -, er habe an einer Versammlung der Götter teilgenommen, die man für Landeseigner hielt, und sei von ihnen mit folgender Botschaft an König und Volk gesandt: "Lange habt ihr unsere Gunst besessen und dauernd durch unseren Beistand das Land, da ihr wohnt, mit reichem Erntesegen in Frieden und Gedeihen innegehabt. Ihr habt uns Opfer und schuldige Gelübde dargebracht und euer Dienst war uns lieb. Jetzt aber entzieht ihr uns die gewohnten Opfer und bietet nur noch lässig freiwillige Gelübde dar; mehr noch miÃÄfällt uns aber, daÃÄ ihr einen fremden Gott über uns erhebt. Wenn euch an unserer Gunst liegt, dann vermehrt die unterlassenen Opfer und leistet gröÃÄere Gelübde! Nehmt den Kult des fremden Gottes, dessen Lehre uns feindlich ist, nicht bei euch auf und wendet euch seinem Dienst nicht zu! Doch falls ihr mehr Götter wünscht und wir euch nicht mehr genügen, dann wollen wir einstimmig euren früheren König Erik in unseren Kreis aufnehmen; er soll einer in der Zahl der Götter sein." Die öffentliche Bekanntmachung dieser Teufelsbotschaft hatte bei der Ankunft des Herrn Bischofs alle Gemüter verwirrt, arger Irrwahn und Unsicherheit beunruhigten die Menschen. Zu Ehren dieses längst verstorbenen Königs errichteten sie einen Tempel und boten ihm wie einem Gotte Gelübde und Opfer dar. Als nun unser Herr Bischof eingetroffen war, erkundigte er sich bei alten Freunden von früher, wie er in seiner Angelegenheit mit dem König verhandeln solle. Aber alle rieten ihm dringend ab und versicherten, diesmal werde seine Legation gar nichts ausrichten; er solle ihm nur alles Wertvolle geben, was er besitze, um wenigstens sein Leben zu retten. Doch Ansgar entgegnete: "Ich will hier nichts zur Rettung meines Lebens geben; wenn mein Herr es so bestimmt, bin ich bereit, hier für seinen Namen Pein zu leiden und den Tod zu erdulden." In dieser sorgenvollen UngewiÃÄheit lud er schlieÃÄlich, einem Rate folgend, den König in seine Herberge, gab ihm ein Mahl, bot ihm nach seinem Vermögen Geschenke und berichtete über den Auftrag seiner Legation. Der Grund seines Kommens war dem König jedoch schon vorher durch Horichs Gesandten und durch dortige Vertrauensleute des Herrn Bischofs mitgeteilt worden. Erfreut durch sein freundliches Entgegenkommen und die überreichen Geschenke, entgegnete er, mit Ansgars Absicht sei er ganz einverstanden. "Nun sind aber die früheren Priester hier nicht auf königlichen Befehl, sondern durch eine Volksempörung verjagt worden. Deshalb darf ich eine Bestätigung Eurer Legation vor einer Losbefragung unserer Götter und der Erforschung des Volkswillens hierüber nicht wagen. Dein Abgesandter soll mich zur nächsten Thingversammlung begleiten; ich will beim Volke für dich sprechen. Gewähren die Götter deinem Wunsche ihre Zustimmung, so soll deine Bitte erfüllt werden. Andernfalls will ich dir auch Nachricht geben." Ihrem Brauch zufolge liegt nämlich bei ihnen die Entscheidung über jede öffentliche Angelegenheit mehr im einmütigen Volkswillen als in der Macht des Königs. Auf diesen königlichen Bescheid hin nahm unser Hirt ergeben seine ganze Zuflucht zum Herrn, fastete, betete und demütigte sich in Reue und BuÃÄe vor Gott.

Während er so in Ängsten und Sorgen schwebte, nahte der Tag der Thingversammlung.

Sie gingen nach ihrem Brauch auf einen freien Platz und warfen die Lose. Heraus fiel ein Los, das besagte, mit Gottes Willen solle der christliche Glaube dort begründet werden. Ein dem Herrn Bischof freundlich gesinnter GroÃÄer teilte ihm zu seiner Beruhigung dieses Ergebnis sogleich mit und riet ihm: "Bleibe stark und mannhaft! Gott hat deiner Absicht und deiner Legation zugestimmt." Da schöpfte er Vertrauen und jubelte voller Freude im Herrn. Am Tage der Thingversammlung für den Wik Birka lieÃÄ der König nach ihrem Brauch durch einen Sprecher das Volk über die Bedeutung der christlichen Legation unterrichten. Als sie das hörten, wurden sie uneinig und stritten sich, waren sie doch vorher durch ihren Irrglauben verwirrt worden. Während dieses Lärmens erhob sich inmitten des Volkes ein alter Mann und sprach: "König und Thingversammlung, hört auf mich! Über die Verehrung dieses Gottes wissen schon viele unter uns recht gut, daÃÄ er denen, die auf ihn hoffen, groÃÄe Hilfe gewähren kann. Das haben unser viele schon oft in Gefahren auf See und in mancherlei Nöten erprobt. Weshalb sollen wir also verwerfen, was uns sicherlich notwendig und vorteilhaft ist? Früher sind unsere Männer nach Dorestad gegangen und haben diese Art Glauben freiwillig angenommen, weil sie seine Nützlichkeit einsahen. Jetzt lauern auf der Route viele Gefahren; durch räuberische Überfälle ist die Reise für uns sehr gefährlich geworden. Nun wird uns, was wir früher in der Ferne unter Mühen aufsuchten, hier geboten; warum sollen wir es nicht annehmen? Wenn wir die Gnade dieses Gottes uns in vielem nützlich befunden haben, weshalb sollen wir da nicht gern zustimmen, daÃÄ seine Diener bei uns weilen? Überlegt euren EntschluÃÄ, Männer, und verfehlt euren Vorteil nicht! Wollen unsere Götter uns nicht gewogen sein, dann ist es gut, die Gnade dieses Gottes zu besitzen, denn er kann und will immer und überall denen helfen, die zu ihm rufen." Auf Grund dieser Rede kam alles Volk überein, für die Zulassung von Priestern und die widerspruchslose Bewilligung aller Dinge einzutreten, die der Dienst der Geheimnisse Christi bei ihnen erfordere. Als der König die Versammlung verlieÃÄ, entsandte er zugleich mit dem Vertrauensmann des Herrn Bischofs seinen eigenen Boten mit der Nachricht, das Volk habe einmütig seinem Wunsche beigestimmt. Er sei ganz zufrieden; volle Erlaubnis könne er jedoch erst erteilen, wenn er auf einer zweiten Thingversammlung in einem anderen Reichsteil dem dort versammelten Volk das gleiche unterbreitet habe. Da nahm unser Vater seligen Angedenkens wiederum seine Zuflucht zur gewohnten Hilfe und flehte inbrünstig um Gottes Erbarmen. Als die Zeit dieser Thingversammlung kam, lieÃÄ der König wieder einen Sprecher über die Legation des Herrn Bischofs berichten wie auch über alle Erwägungen und Entschlüsse der früheren Versammlung. Da waren durch Fügung der göttlichen Vorsehung alle einig, alle billigten gemeinsam die Zustimmung der ersten Versammlung und erklärten ihre völlige Übereinstimmung damit.

Nun berief der König den Herrn Bischof zu sich und teilte ihm das Geschehene mit. Gestützt auf den einmütig zustimmenden BeschluÃÄ aller, bewilligte er den Kirchenbau im Land, die Zulassung von Priestern und stellte jedem aus seinem Volk, der danach verlangte, die ungehinderte Annahme des Christentums frei.


Mit Ansgars Mission war dem Christentum in Schweden zwar ein Weg bereitet, seine weitere Durchsetzung aber sollte noch Jahrhunderte brauchen. Das Zentralheiligtum der schwedischen Stämme in Alt-Uppsala behauptete sich bis ins 12. Jahrhundert. Alle neun Jahre feierten die schwedischen Stämme hier ein Opferfest, bei dem sogar Menschenopfer vollzogen wurden. Die Absicht, dieses Heiligtum "als Mittelpunkt des barbarischen Irrglaubens" zu zerstören, brachte den christlichen König Stenkil in einen Loyalitätskonflikt des eigenen Glaubens mit dem Glauben des immer noch bedeutenden heidnischen Bevölkerungsanteils. In der langen Zeit des religiösen Umbruchs vermengten sich heidnische und christliche Vorstellungen und Bräuche auf vielfache Weise. Erst 1130 konnte sich das uppländische Bistum, das vordem in Alt-Uppsala nicht FuÃÄ fassen durfte, am Ort des bisherigen zentralen Heidentempels etablieren.

aus: Das Christentum, Hubertus Halbfas 2004